Eberhard Kranemann - Kraftwerk
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Kranemann / Kraftwerk

Ich wurde am 7. März 1945 in Wismar geboren, bin in Dortmund aufgewachsen, habe da das Abitur gemacht, am Konservatorium klassischen Kontrabaßunterricht erhalten, klassische Orchestermusik gespielt (u.a. Telemann, Bach, Mozart, Händel) und in verschiedenen Jazz-gruppen mitgearbeitet, u.a mit Frank Wunsch, der heute an der Musikhochschule Köln das Jazz-Klavier unterrichtet.
1965 bin ich nach Düsseldorf gegangen, um Kunst an der Kunstakademie zu studieren. Das Geld zum Studium habe ich mir als Orchestermusiker verdient, zunächst am Dortmunder Schauspielhaus, danach am Düsseldorfer Schauspielhaus unter der Leitung von Karl-Heinz Stroux. Die Nächte habe ich in diversen Jazzclubs verbracht, unter anderem mit dem Holger Clausen Trio. Irgend wann um 1966 / 67 bekam ich das Gefühl sich wiederholender Strukturen und begann mit Klängen, Geräuschen und anderen Instrumenten zu experimentieren. Zu den beiden Kontrabässen, die ich schon besaß, kaufte ich mir einen Elektrobaß mit Verstärkeranlage, eine Hawaiigitarre, eine Klarinette und ein Tenorsaxofon. Dazu bekam ich noch ein Cello geschenkt.
Mit diesen verschiedenen Instrumenten konnte man ja so tolle Geräusche machen ! Merkwürdige Klänge, die man sonst in der Musik nicht hörte. Das faszinierte mich, und ich beschäftigte mich von dieser Zeit an - bis heute - mit Klang- Experimenten.

Das erste Projekt nannte sich PISSOFF (1967 / 68). Ich suchte und fand Gleichgesinnte an der Düsseldorfer Kunstakademie, wo wir alle studierten ( ich studierte Malerei bei Professor Rupprecht Geiger, die anderen kamen aus der Klasse Joseph Beuys / Bildhauerei). Unsere Auftritte sahen folgendermaßen aus : Wir stellten die Verstärker auf die Bühne, drehten sie voll auf, und dann ging es los : Ohne Absprache, ohne jede Regel, ohne eine bestimmte Tonart, ohne einen festgelegten Rhythmus, jeder so laut und so viel und so lange er konnte. Wir spielten meist nur ein Stück - das dauerte so ungefähr drei Stunden. Dann war die Luft 'raus, alle waren naßgeschwitzt und völlig fertig, es ging NIX mehr ! Das war ein Toben + Schreien gegen Konvention, gegen Norm + Anpassung. Einen ganz großen, berühmten Auftritt hatten wir zusammen mit Joseph Beuys im Creamcheese / Düsseldorf  (1968), der damaligen Szene-Kneipe der Düsseldorfer Altstadt, die auch Frank Zappas Stammkneipe wurde, wenn er in Europa war.
Beuys machte seine Handaktion - drei Stunden sehr ruhig, konzentriert, intensiv, minimale Bewegung. Wir aktionistisch Klang - Musik - Geräusch - Terror. Drei Stunden Weltuntergang. Laut. Krach. Chaos ! Schmerzgrenze. Der Laden war gerammelt voll.    ALLE WAREN DA !Auch das Fernsehen (WDR 3 hat gefilmt und Ausschnitte gezeigt).

Zu dieser Zeit drückte sich immer häufiger ein junger Bursche in den dunklen Ecken herum und guckte und hörte, was wir da machten. Der schien das ganz interessant zu finden. Er hieß Florian Schneider-Esleben, ging noch zur Schule und hatte eine Querflöte. Wir spielten ein bißchen zusammen, mal in meiner Wohnung, mal im Haus seiner Eltern, dann mit verschiedenen anderen Musikern in unterschiedlichen Besetzungen. Basil Hammoudi (Conga) war dabei, aber auch Cap (Trompete) und ein klassischer Gitarrist.  

Früher gab es in den Kellergewölben der Düsseldorfer Kunstakademie berühmt-berüchtigte Karnevalsfeiern. Drei Nächte durch ohne Pause. Da passierte alles, was es gibt und was es nicht gibt. 1967 spielte ich da mit PISSOFF. Tangerine Dream und ein paar andere Gruppen traten da ebenfalls auf. Drei heiße Nächte. Totaler Kampf. Musik, Geräusche, Klänge, Krach bis zum Umfallen. Das Publikum tobte und tanzte wie irrsinnig. Ich sagte Florian bescheid, er solle mal mit seiner Flöte vorbeikommen. Er kam, setzte sich unauffällig in eine Ecke der Bühne und versuchte, gegen den ohrenbetäubenden Lärm mit seiner Flöte anzuspielen.

Eines Tages schleppte Florian so einen Hammond-Orgel-Spieler aus Krefeld an. Wir probierten den aus. Das ging ganz gut. Der hieß Ralf Hütter und studierte Architektur. Wir bildeten eine Gruppe, ein Quartett, das ganz gut lief - auch mit Auftritten. Besetzung : Florian Schneider-Esleben, Flöte / Ralf Hütter, Hammond-Orgel / Eberhard Kranemann, Baß / Thomas Lohmann, Schlagzeug.
Der berühmteste Hammond-Orgel-Spieler der Welt war und ist Jimmy Smith, ein schwarzer Amerikaner. Damals (67 / 68) gab Jimmy Smith ein Konzert in der Tonhalle Düsseldorf, danach kam die ganze Band in den Jazzclub Dum Dum in der Düsseldorfer Altstadt, wo wir gerade ordentlich einheizten : Ralf auf seiner Hammond M 100, Florian - Querflöte, ich spielte Baß und der Schlagzeuger ließ die Fetzen fliegen. Super Stimmung. Laden brechend voll. Die Post ging ab !  Die blue notes und die Synkopen flogen nur so durch den Raum.  In Jazzclubs ist es üblich, daß Gastmusiker, die gerade in der Stadt sind, "einsteigen", aus Spaß bei anderen Bands mitspielen. Das wurde auch von Jimmy Smith erwartet. Der jedoch guckte sich Ralfs Orgel an, sagte "Mickey Mouse Organ" und verschwand wieder. Er selbst spielte nur die große B 3 von Hammond, Ralfs M 100, das kleinere Modell, war ihm zu mickrig. Kenny Burrell, der Gitarrist der Jimmy Smith Band, blieb da, packte Gitarre und Verstärker aus und spielte mit. Es wurde eine schöne Session-Nacht.

Im Rahmen meiner Arbeit als Musiker am Düsseldorfer Schauspielhaus - ich brauchte das Geld zum Überleben, die Klangexperimente brachten NIX ein, die paar Konzerte reichten nicht aus - hatte ich Aufnahmen in einem Musikstudio in Godorf am Rhein, in einem Industriegebiet zwischen Köln und Bonn. Die hatten da einen Tontechniker, der hieß Conny Plank. In Hamburg hatte er zuvor Musik von Udo Lindenberg und Otto Waalkes  aufgenommen.  Das war natürlich NIX. Die Post ging in der Rheinschiene ab ! Also, Conny arbeitete da zunächst als angestellter Tontechniker. Das Düsseldorfer Schauspielhaus hatte Studio und Techniker gemietet, um Musik für die Einweihung des neuen Düsseldorfer Schauspielhauses produzieren zu lassen. Ich war als Bassist dabei. Während der Arbeit stellte sich heraus, daß man noch einen Flötisten brauchte. Also habe ich Florian zur nächsten Aufnahmesession mitgebracht. Es klappte alles ganz gut. Das neue Schauspielhaus in Düsseldorf wurde mit unserer Musik eingeweiht.
Ich fand heraus, daß Conny andere Dinge im Kopf hatte, als Auftragsarbeiten für verschiedene Arbeitgeber abzuleisten. Er fing damals schon an, nachts, wenn das Studio nicht vermietet war, Gruppen aufzunehmen, die anders klangen, als es damals üblich war. Hier begann eine langjährige Zusammenarbeit und Freundschaft. Mal brauchte er für Brian Eno, der gerade in seinem Studio arbeitete, ein Cello und ein Saxofon. Ich besaß so etwas, also brachte ich es ihm. Dann hat er David Bowie meine FRITZ MÜLLER - Musik vorgespielt, die wir gerade in seinem Studio aufgenommen hatten. Der fand meinen Gitarrensound geil und wollte mich in seiner Band als Gitarristen haben. Ich fand den aber immer schon doof und bin gar nicht erst hingefahren (Später hat er mit Adrian Belew einen Gitarristen mit ähnlichem Klangspektrum gefunden. Inzwischen spielt David Bowie selbst Gitarre - das klingt so wie meine Gitarre damals geklungen hat.).

Die Arbeit mit Florian und Ralf machte Fortschritte. Wir hatten einen Proberaum zwischen Puff und Hauptbahnhof Düsseldorf in einem Hinterhaus, da konnte man ungestört laute Musik machen. Es gab damals viele Experimente mit unterschiedlichen Klängen und wechselnden Musikern.
Florian arbeitete mit elektrisch verstärkten Flöten, die er durch allerhand Filter jagte, um zu Klangverfremdungen zu gelangen. Er hatte alle Querflöten : Piccolo, C-Flöte, Altflöte, Baßflöte (sehr selten und schwer zu spielen). Zwischen elektrischem Flötenmodul und Endverstärker hatte Florian Echogeräte mit unterschiedlichen Echogeschwindigkeiten verkabelt, sodaß sich Tongebirge überlappender Flötenklänge verschiedener Tempi und Rhythmen ergaben. Am besten hat mir sein sound auf der Altflöte gefallen : cool, ruhig, philosophisch, tiefgründig. Auch experimentierte er mit einer elektrischen Geige, die er im Sitzen auf dem Schoß spielte, mit damals noch sehr fremd klingenden arabischen Tonskalen.
Ralf arbeitete daran, der Hammond-Orgel andere Klänge zu entlocken : Er verzichtete auf die perkussive Anschlagsdynamik und Vibrato-Effekte. Blue Notes und Synkopen der amerikanischen Jazz,-Soul,-Rhythm and Blues - Musik kamen in den Mülleimer. Heraus kam ein neutrales Klangbild, wie es eher in der modernen klassischen Musik anzutreffen ist, so zum Beispiel bei György Ligeti.
Ich spielte einen viersaitigen Elektrobaß, elektrisches Cello (das gab es damals noch nicht - habe ich mir zusammengebastelt) und eine Hawaiigitarre. Den Baß spielte ich einerseits in der Rhythmus - und - Harmoniefunktion bassig klingend, andererseits mit Wah-Wah-Pedal und Verzerrer (sonst nur von Gitarristen benutzt). Heraus kamen merkwürdige Klänge - wie aus einer anderen Welt - eher solistisch eingesetzt. Dem elektrischen Cello entlockte ich Klänge arco und pizzicato - von weich, harmonisch, lieblich bis aggressiv, verzerrt, laut, kratzend, schreiend. Die Saiten der Hawaiigitarre stimmte ich je nach Gefühl subjektiv um und fuhr mit einem Stück Eisen auf den Saiten spazieren - sehr eigenwillig und NEU !
(Einmal hatten wir einen Auftritt zusammen mit anderen Gruppen - da war auch die Free Jazz - Gruppe des Pianisten Wolfgang Dauner dabei. Diese Musikerkollegen waren ganz begeistert von meinem Elektro-Cello und Hawaiigitarrenspiel. So etwas hatten die vorher noch nie gehört : Wer ist das ? Was macht er da ? Wie macht der das ?) .
Charly Weiss, ein Free-Jazz-Schlagzeuger, der aus Berlin zu uns gekommen war, spielte zum Teil in der Rhythmusfunktion, zum Teil aber auch freie, perkussive Klangelemente. Um 1970 / 71 herum verabschiedete sich Ralf aus der Gruppe Kraftwerk. Er hatte wohl das Gefühl, erst einmal sein Architektur - Studium zu Ende bringen zu müssen. Wir arbeiteten zu dritt weiter. Florian, Charly und ich. Hartes Brot. Jeden Tag Probe von 17.00 - 24.00 Uhr. Kaum jobs. Keine Kohle. Kaum Erfolgserlebnisse, die die Arbeit bestätigten. Ein paar Auftritte gab es Ende 1970, Anfang 1971 :

Kraftwerk im Creamcheese Düsseldorf, am 2. Weihnachtstag, 26.12.1970, 16.00 - 22.00 Uhr, mit Florian Schneider-Esleben - Flöte, Eberhard Kranemann - Baß, Cello, Hawaiigitarre, Charly Weiss - Schlagzeug.

Konzert im Forum Leverkusen am Montag, dem 15. Februar 1971, 20.15 Uhr. Kartenpreise an der Forum-Kasse : DM 5,- , für Schüler und Studenten DM 3,50,- . Besetzung : Florian Schneider-Esleben - Flöten, Geige,elektrische Perkussion, Eberhard Kranemann - Baß, Cello, Hawaiigitarre, Houschäng Nejadepour und Michael Rother - Gitarre, Klaus Dinger - Schlagzeug.

Kraftwerk in der Werkkunstschule Krefeld am Mittwoch, dem 17. Februar 1971, 20.00 Uhr. Eintritt : DM 3,-  , mit  Florian Schneider-Esleben - Flöte, Violine, Eberhard Kranemann - Baß, Cello, Hawaiigitarre, Houschäng Nejadepour - Gitarre, Klaus Dinger - Schlagzeug.

Die Dinge gerieten in Bewegung. Ich probierte härtere Sounds mit Klaus Dinger und Michael Rother. Es entstand die Gruppe NEU ! Klangbeispiel : CD NEU ! '72 live in Düsseldorf, Captain Trip Records, Tokyo, Japan (" This is one of the most important documentary in German rock history!").  

Undsoweiter, undsoweiter, undsoweiter.......

FRITZ MÜLLER - Multimedia-Projekt Kunst + Musik : Performances mit Conny Plank und Christa Fast, Musikern, Schauspielern und Medienkünstlern u. a. in Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Köln. LP bei Teldec 1977. Klangmaschine mit Klaus Dapper. Musik für Rundfunk und Fernsehen. Kunstausstellungen im In - und Ausland : Malerei, Grafik, Plastik, Fotografie, Performance. Bluepoint Underground : Konzerte, Multimedia-Projekte, CD - Produktion "Bluepoint Underground in New York City", Captain Trip Records, Tokyo, Japan ( "Deep Intellectual Electronics Punk! Great Stuff !!!). Crossovermedia, Werkstatt für interdisziplinäre Kunst : Multimediale Projekte : Theater, Tanz, Klang, Licht, Film. Klanginstallationen und Klangkunstperformances in Museen und Galerien.  

Eberhard Kranemann, 1.5.2002

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